In welcher Erzählform schreibst du eigentlich deinen Roman? Und warum?
Wie die Wahl der Erzählform und das Erzählverhalten das Thema
eines Romans beeinflussen
Die Wahl der Erzählform und das Erzählverhalten bestimmen maßgeblich das Thema deines Romans. Denn die gewählte Erzählform und das gewählte Erzählverhalten erzeugen das „Licht“, welches auf die Erzählung scheint und in dem der Leser die Erzählung sieht. Es trägt zur Atmosphäre bei, welchen Abstand der Erzähler zu den Figuren hat und wie ein Text den Leser berührt. Besonders deutlich wird dies, wenn du eine gegebene Erzählung in eine andere Erzählform oder mit einem anderen gewählten Erzählverhalten umschreibst: Bei gleichbleibender Handlung, wird das Thema ein ganz anderes werden.
Ein auktorialer Erzähler schildert verbindliche Fakten in einem „kühlen Licht“ mit erzählerischer Distanz, bietet dem Leser eine filmische Totale mit Raum für beispielsweise Ironie, Humor, Sympathie und/oder Verachtung.
Vor allem Gedanken und Empfindungen von Figuren können aber, wenn sie in Form eines distanzierten Erzählerkommentars erzählt werden, lächerlich und kraftlos wirken. Ein personaler Er-/Sie-Erzähler ermöglicht es, die emotionalen Erfahrungen, die eine Figur macht, so zu erzählen, dass das gewählte Thema eines Romans in ihr, durch sie, erst sichtbar wird.
Durch die Wahl eines Ich-Erzählers erzeugt ein Roman im Idealfall eine besondere Intimität, da der Leser sich direkt in die Gedankenwelt des Protagonisten hineinversetzen kann. Der Autor erschafft mit einem Ich-Erzähler eine stilistische Individualität, durch die sie direkt zum Leser spricht. Dabei wird der Leser zu einer Art Zeuge und zum Komplizen. Doch gleichzeitig wird dem Autor viel abverlangt, diese Erzählform glaubwürdig und stimmig umzusetzen. Denn die Wahl eines Ich-Erzählers ist eine besondere Herausforderung für den Schreibenden – eine gekonnte Umsetzung kann wesentlich schwieriger sein als einen Er-/Sie-Erzähler einzusetzen.
Welche Herausforderungen beim Schreiben mit einem Ich-Erzähler zu meistern sind
Beschränkung auf eine Perspektive
Während ein Er-/Sie-Erzähler die Handlung aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten kann, ist die Perspektive eines Ich-Erzählers einzig auf die Erfahrungen und Wahrnehmungen dieses Protagonisten beschränkt. Der Autor muss daher sehr genau darüber nachdenken, welche Informationen der Leser benötigt, um die Handlung zu verstehen, und vor allem wie er diese Informationen durch die Perspektive des Protagonisten vermittelt.
Überzeugende Stimme schaffen
Der Autor muss eine überzeugende Stimme kreieren, die den Leser in die Welt des Protagonisten zieht und ihn vor allem auch dort hält. Eine Ich-Erzählung erfordert vom Schreibenden, dass er eine glaubwürdige Figur mit eigener Sprache, eigenen Denk- und Verhaltensmustern schafft. Die Stimme des Erzählers muss authentisch klingen und der Leser muss das Gefühl haben, direkt mit der Hauptfigur zu interagieren. Der Leser muss sich in den Protagonisten hineinversetzen können, ihn verstehen und mit ihm mitfühlen – flüssig und ohne Brüche. Gleichzeitig muss der Autor darauf achten, dass der Erzähler nicht zu egozentrisch wird und sich nicht alles nur um seine eigenen Probleme dreht.
Charakterentwicklung des Ich-Erzählers
Auch die Entwicklung des Ich-Erzählers muss der Autor glaubhaft und überzeugend darstellen. Der Leser sollte eine spürbare Veränderung im Denken, Handeln und Fühlen des Protagonisten erleben, während er mit den Herausforderungen der Handlung konfrontiert wird. Es erfordert Feingefühl und Geschick, um diese Entwicklung organisch in die Geschichte einzubetten und dem Protagonisten eine glaubwürdige innere Reise zu ermöglichen.
Balance zwischen Innenwelt und äußerer Handlung
Da der Ich-Erzähler seine Gedanken, Emotionen und Wahrnehmungen schildert, kann es verlockend sein, sich ausschließlich auf die innere Welt des Protagonisten zu konzentrieren. Jedoch ist es wichtig, dass die äußere Handlung nicht vernachlässigt wird, da sie die Geschichte vorantreibt und Spannung erzeugt. Der Autor muss geschickt zwischen den introspektiven Momenten des Protagonisten und den äußeren Ereignissen balancieren, um eine fesselnde und dynamische Erzählung zu schaffen.
Informationsvermittlung trotz Begrenzung
Die Tatsache, dass der Protagonist (als Ich-Erzähler) aber nicht alles sehen, hören oder wissen kann, fordert den Schreibenden dabei heraus. Der Autor muss daher Wege finden, um dem Leser Informationen zu vermitteln, die der Protagonist nicht direkt erfahren kann. Hier bietet sich beispielsweise die Verwendung von Dialogen mit anderen Charakteren an, die dem Leser zusätzliche Einblicke in die Handlung geben.
All diese Herausforderungen machen die Verwendung eines Ich-Erzählers zu einer besonderen Kunstform, die oftmals nur von erfahrenen Autoren beherrscht wird.
Welche Vorteile die Wahl eines Ich-Erzählers bietet
Dennoch bietet die Verwendung eines Ich-Erzählers auch viele Vorteile. Die Handlung wird einer persönlicheren, emotionaleren Sichtweise erzählt. So kann der Leser durch die Perspektive des Protagonisten tiefer in dessen Gefühlswelt eintauchen und er kann sich besser mit dem Protagonisten identifizieren und mitfühlen.
Wann sich ein Ich-Erzähler eignet
Die Wahl der Erzählform hängt, wie eingangs schon erwähnt, in erster Linie vom Thema ab, welches der Autor erzählen und dem Leser vermitteln möchte.
Eine Ich-Erzählung eignet sich naheliegender Weise besonders gut für Romane, in denen die innere Welt und die Gedanken des Protagonisten im Fokus stehen, beispielsweise in Coming of Age Romanen, psychologischen Thrillern oder autobiografischen Romanen. Andererseits kann ein Ich-Erzähler bei bestimmten Themen, wie zum Beispiel bei zeitkritischer Literatur und/oder einer komplexen Handlung mit vielen Figuren und Schauplätzen, weniger geeignet sein. Hier kann ein Er-/Sie-Erzähler eine bessere Wahl sein, um eine objektivere oder auch kritisch-reflektierende oder multiperspektivische Sichtweise auf die Ereignisse zu ermöglichen.
Letztendlich hängt die Wahl der Erzählform und auch des Erzählverhaltens von vielen verschiedenen Faktoren ab, wie zum Beispiel von der Zielgruppe, dem Plot, dem Genre und natürlich den individuellen Vorlieben des Autors.
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